Reingeschaut: Der Marsch (remastered)

Der bereits 1990 von der BBC produzierte Film „Der Marsch“ war seiner Zeit auf beunruhigende Weise weit voraus. In dieser neu gemasterten Fassung konfrontiert der Film uns erneut mit der Thematik, die heute von noch größerer Dringlichkeit ist als zur Zeit seiner Entstehung. Der Film beginnt als kraftvolle, fast prophetische Parabel über globale Ungleichheit und Migration, verliert jedoch auf den letzten Metern entscheidend an erzählerischer Wucht und hinterlässt ein Gefühl der Enttäuschung.

Worum geht es in Der Marsch?

In weiten Teilen Afrikas ist eine ökologische und humanitäre Katastrophe ausgebrochen. Eine Gruppe hungernder Menschen macht sich auf den Weg nach Europa, um dort Zuflucht und ein besseres Leben zu finden. Unterwegs schließen sich immer mehr Menschen dem Track an, bis dieser zu einer Völkerwanderung anschwillt. Zu spät erkennen führende europäische Politiker, welche Sprengkraft der Marsch der Hungernden entwickelt.

Der von William Nicholson geschriebene und von David Wheatley inszenierte Film entwirft ein ebenso simples wie schockierendes Szenario: Angeführt von dem charismatischen Isaac (Malick Bowens) formiert sich in einem sudanesischen Flüchtlingslager ein Marsch. 250.000 afrikanische Männer, Frauen und Kinder machen sich zu Fuß auf den Weg nach Europa. Ihr Ziel: ein besseres Leben. Ihre Botschaft an die wohlhabenden Nationen des Nordens: „Wir sind hier, weil ihr dort seid.“

Ein visionärer Auftakt von bedrückender Aktualität

Die erste Hälfte des Films ist seine größte Stärke. Die technische Überarbeitung der „remastered“-Version verleiht den Bildern eine neue Schärfe, die die hoffnungslose Entschlossenheit in den Gesichtern der Marschierenden und die unendliche Weite der Wüste eindrücklich zur Geltung bringt. Der Film fängt die schiere Unausweichlichkeit dieses menschlichen Zuges meisterhaft ein. Er zwingt das europäische Publikum, sich mit einer Realität auseinanderzusetzen, die oft nur in abstrakten Zahlen und Nachrichtenmeldungen existiert und vor allem nicht, wie heute, im ständigen Zugriff durch die sozialen Netzwerke ist.

Besonders lobenswert ist der anfängliche Fokus auf die Perspektive der afrikanischen Protagonisten. Ihre Motivationen – Hunger, Verzweiflung, aber auch Würde und die Forderung nach Gerechtigkeit – werden klar und ohne übertriebenes Pathos dargestellt. Der Film vermeidet es hier noch, sie ausschließlich als passive Opfer zu zeichnen. Sie sind Akteure ihrer eigenen Geschichte, eine menschliche Naturgewalt, die das bequeme Gewissen Europas auf die Probe stellt.

Der narrative Bruch und das lahme Finale

Doch je näher der Marsch Europa kommt, desto mehr verschiebt sich der Fokus des Films. Die Handlung verlagert sich zusehends von den existenziellen Nöten der Marschierenden auf die politischen und persönlichen Dramen der europäischen Entscheidungsträger. Im Zentrum steht nun die idealistische EU-Kommissarin Clare Fitzgerald (Juliet Stevenson), die verzweifelt versucht, eine humane Lösung gegen den Widerstand zynischer Politiker durchzusetzen.

Es hat sich also seit der Fiktion damals und der heutigen Realität nichts geändert.

Hier beginnt der Film, seine anfängliche Kraft einzubüßen. Die komplexen sozioökonomischen Ursachen der Migration werden auf ein medienwirksames politisches Tauziehen reduziert. Die afrikanischen Hauptfiguren, allen voran der Anführer Isaac, werden zu Statisten in ihrem eigenen Drama, deren Schicksal in den Händen weißer Europäer liegt. Diese narrative Schwerpunktverlagerung ist aus heutiger Sicht besonders problematisch, da sie ungewollt postkoloniale Machtstrukturen reproduziert: Die „Lösung“ des „Problems“ wird zu einer rein europäischen Angelegenheit.

Das Ende, das den Marsch an der Küste Spaniens abrupt und melodramatisch auflöst, ist der schwächste Teil des Films. Statt sich der unbequemen und ungelösten Frage zu stellen, was nach der Ankunft passiert, flüchtet sich das Drehbuch in eine vereinfachende und letztlich unbefriedigende Konklusion. Die immense Wucht, die über den gesamten Film aufgebaut wurde, verpufft in einem Finale, das weder der Komplexität des Themas noch der anfänglichen Vision des Films gerecht wird. Es fühlt sich an, als hätten die Macher selbst Angst vor der Konsequenz ihrer eigenen Prämisse bekommen.

Fazit

„Der Marsch (remastered)“ bleibt ein wichtiges und sehenswertes Zeitdokument. Seine Prämisse ist heute relevanter denn je und die erste Hälfte des Films entwickelt eine enorme, beklemmende Kraft. Als Anstoß für eine dringend notwendige Debatte ist der Film unschätzbar. Als filmische Erzählung scheitert er jedoch an seinem eigenen Mut. Die technische Auffrischung kann die inhaltlichen Schwächen des Finales nicht kaschieren.

Der Film zeigt eindrücklich einen Marsch, der an Europas Grenzen endet. Leider endet auch sein erzählerischer Mut genau dort, wo die wirklich schmerzhaften Fragen erst beginnen würden. Was bleibt, ist der Eindruck eines visionären Werks, das am Ende den leisen, bequemen Ausweg wählt, anstatt den lauten, konsequenten Schlusspunkt zu setzen.

Bluray-Fakten:

  • Seitenverhältnis:‎ 4:3 – 1.33:1
  • FSK:‎ 12
  • Regisseur:‎ David Wheatley
  • Laufzeit:‎ 1 Stunde und 36 Minuten
  • Erscheinungstermin:‎ 27. März 2025
  • Darsteller:‎ Malick Bowens, Juliet Stevenson, Joseph Mydell, Dermot Crowley, Jean-Claude Bouillion
  • Untertitel:‎ Deutsch
  • Sprache:‎ Deutsch (DTS-HD 2.0), Englisch (DTS-HD 2.0)
  • Studio:‎ Busch Media Group
Kategorien: Entertainment, Reingeschaut

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